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Heimkehr der Backsteine

Heimkehr der Backsteine

Zwei Bildersteine aus dem Zisterzienserkloster Dargun

Ein für die Klostergeschichte Darguns erfreuliches Ereignis ist Anlass für einige kurze Bemerkungen zu den Terrakottareliefs mit figürlichen Darstellungen auf einer Säulenbasis im Hohen Chor der Klosterkirche. Besagtes Ereignis war der Besuch eines „jungen Mannes“ in der Stadtinformation, im September 2020. Die Mitarbeiterin Frau Ehrenberg berichtet, dass dieser nette Herr gewichtige Mitbringsel bei sich trug. Er wolle diese beiden Backsteine „dahin zurückbringen, wohin sie gehören“, sagte er, ohne sich vorzustellen. Anfang der 70er Jahre sei er als kleiner Junge mit seinem Vater in die damals offene Ruine gelangt, und sie hätten zwei Steine mitgenommen. Nach dem Ableben seines Vaters, beim Ausräumen der Kellerräume, seien ihm diese wieder in die Hände gefallen. Leider sei ihm einer der Ziegel zerbrochen. Er habe sich zur Rückgabe dieser mittelalterlichen Relikte entschlossen. Ein nachahmenswerter und nicht hoch genug zu lobender Entschluss! Ein ganz großes Dankeschön an diesen geschichtsbewussten Mann. Handelt es sich doch bei diesen klosterformatigen Ziegeln um seltene, ja einmalige Belege für die Stempelung frisch handgestrichener Backsteine mit geschnitzten Eichenholzmodellen. W.J. Müller meint 1939 in seiner Dissertation, dass die Darguner Klosterziegelhütte als Erste diese materialgerechte Verzierungsform gefunden habe. Es sind Unikate und Raritäten der Darguner Zieglermönche, nicht „nur“ mit floralen oder ornamentalen Motiven, von denen sich eine größere Anzahl in den Wänden und Säulen erhalten haben. Diese beiden Steine enthalten religionsgeschichtlich interessante Bildergeschichten des Mittelalters. Erklärungen für die uns heute schwer deutbaren geistlichen Inhalte dieser Bilder findet man in überlieferten Glaubensvorstellungen, dem Aberglauben und den Sagen der mittelalterlichen Mönche und ihrer bäuerlichen Mitarbeiter. Hinweise darauf findet man unter anderem im „Physiologus“, einer alten, symbolhaften Zuordnung von Tieren, Pflanzen und Gegenständen zu bestimmten, oft bibelbezogenen, Eigenschaften. Gefertigt wurden diese inhaltsschweren Steine wohl für den spätgotischen Neubau des Ostchores und der Querhäuser der Klosterkirche. Die früher häufig geäußerte Ansicht, die gestempelten Steine wären Übernahmen aus dem abgerissenen spätromanischen Vorgängerbau, ist aber wohl, zumindest für einige der Motive, nicht von der Hand zu weisen. Im Folgenden nun eine kurze Beschreibung der beiden Steine und ein  Versuch der Deutung beider Bildergeschichten: Auf dem zerbrochenen Eckstein (Abmaße 14,5/15x30x9,5 cm) erkennt man, trotz teilweiser Auffüllung der eingetieften Konturen mit Resten ehemaliger Farbanstriche (diese auch beim zweiten Stein), vor einem Kugelbaum mit Vogel, ein Wesen mit Drachenkopf und weit aufgerissenem Maul. Es hat einen langen gebogenen Hals, Flügel und einen langen, hoch erhobenen „Schlangenschwanz“. Es wendet sich nach rechts eigentlich einem Krieger in kurzem Kittel, mit Helm und gesenktem Schwert, zu. So sah die rechte Seite eines bekannten Exemplars mit diesem Motiv aus. Das Besondere an unserem Stein ist das Fehlen des Kriegers. An seiner Position ist der Ziegel um 5 cm abgeknickt und trägt auf dieser abgewinkelten Fläche ein florales Motiv, wohl entsprechend dem Folgestein. Zu erkennen ist mittig eine kleine waagerecht liegende Weintraube, über einem Weinblatt. Ein an dieser Stelle sonst üblicher Krieger befindet sich noch als allerletzter Rest der Bildersteine im Säulenfuß. Die Darguner nennen dieses traurige Relikt den „Pflüger“, da sein nach unten gerichtetes Schwert als Pflugholm gedeutet wird. Herr Dr. Schlegel hat in seiner wichtigen ersten Arbeit „Das Zisterzienserkloster Dargun“ 1980 dieses Motiv folgendermaßen beschrieben: „Basilisk wird von rechts durch einen behelmten(?) Mann im kurzen Waffenrock angegriffen, während links davon ein Vogel in einem Baum sitzt“. Frau Dr. Kratzke in der Veröffentlichung ihrer Dissertation 2004 sieht in diesem Motiv den „Kampf zwischen einem Mischwesen und einem Vogel neben einem Baum“. Die Verklärung des mittelalterlichen Rittertums – der Ritter als Kämpfer für den christlichen Glauben und für das Gute, gegen das Böse in der Welt – mag bei diesem Bild Pate gestanden haben. Das Böse wird symbolisiert durch den Drachen mit Schlangenschwanz, welcher den Lebensbaum Jesu mit der Taube des Heiligen Geistes gefangen hält. Im „Physiologus“ heißt es für den Baum Peridexion, dass in ihm die Tauben nisten und davor eine Schlange lauert, die den Tauben feindlich gesinnt ist. Auf dem zweiten Backstein (Abmaße 14/14,5x30, 5x9 cm) sind von links nach rechts folgende Objekte zu erkennen: drei gereihte Wein(?)blätter auf einem Hügel; ein auf den Hinterbeinen nach rechts gewandter Eber mit aufgerichtetem Nackenfell; ein sitzender, nach links gewandter Affe mit kelchartigem Gegenstand (Weinpokal?) in der erhobenen linken Hand unter einem hängenden Gegenstand (Lampe/Ampel oder Frucht?). Neben diesem, nun wieder heimgekehrten kompletten Stein mit dem Affenmotiv, ist schon ein weiterer, um zwei der drei Blätter reduzierter, Ziegel in der Geschichtsausstellung seit 1996 vorhanden. Er fand auf Grund des schlechten Gewissens eines alten Rostockers zu uns zurück.“Ik heff em eis ut de Kark in Dargun mitnahmen; dat hürt sich nich. Bring em man wedder trüch dorhen.“ Interessant ist auch, dass ein Teilmotiv dieser Bildergeschichte, der Affe mit Pokal unter der Ampel, ehemals mittig unter der Marienfigur eingemauert war. Bei der Neuaufmauerung der tronenden Maria mit Christuskind und des anbetenden Mönches (übrigens ziert diesen eine beachtliche Tonsur) in der Röcknitzkirche fehlt dieses putzige Tierchen. Er ist wohl bei der Odyssee der 1952 aus der Kirchenruine sichergestellten Figurengruppe „verloren gegangen“. Herr Dr. Schlegel beschreibt das Bild unseres zweiten Steines, welchen er wohl vor der Entnahme fotografierte: „Ein Eber bricht aus Weinberg(?) hervor und trifft auf einen sitzenden Affen.“ Frau Dr. Kratzke sieht auf dem Stein in der Ausstellung: „Ein Eber und ein Affe in Landschaft“, als Bildunterschrift und im Text „… ein Eber, der aus einem Garten oder einem Wald tritt. Rechts neben diesem sitzt ein kleiner Affe, der Nahrung zu sich nimmt.“ Laut „Physiologus“ ist der Affe nachahmungssüchtig und boshaft. Das Schwein wird im Mittelalter als im Dreck wühlender Allesfresser beschrieben. Ein Pastor versuchte vor einiger Zeit eine Deutung: Die damaligen Menschen waren mit den moralischen Zuständen ihrer Zeit nicht zufrieden. ´Das Schwein als schmutzigstes Tier und der Affe als Zerrbild des Menschen sind im Besitz der edelsten Güter der Menschheit, dem Weinberg und dem Wein!`, haben sie die Moral ihrer Mitbürger symbolisch umschrieben. Eine etwas sehr freie Deutung aus heutiger Sicht wäre vielleicht: `Wer zu tief in den Pokal schaut, macht sich zum Affen und wird zum Schw… !` Na ja, alles zu seiner Zeit. Der konkrete Aufbewahrungsort für unsere beiden „Heimkehrer“ ist noch ungeklärt. Denkbar und wünschenswert wäre ein Wiedereinfügen im Säulenfuß. Mit der „Heimkehr“ der zwei Bildersteine im September wächst nun die Hoffnung auf Wiedererlangung weiterer, für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Klostergeschichte bedeutsamer, Verluste.

Dazu zählen:

- eine figürliche Kleinplastik auf der Binderseite eines Backsteins (11,5 cm hoch); wohl eine

Marienfigur, welche im Zusammenhang mit der Ausgrabung 1956 entnommen wurde

- kleiner, sitzender Affe; ehemals mittig unter der Madonna mit Kind eingemauert

- weitere figurale, ornamentale und florale Motive aus den Wänden und Säulen

- Terrakotta-Fußbodenplatten mit „Hirsch neben Baum“, mit „Fischblasen“-Ornament, mit

glasierten floralen oder geometrischen Motiven

- romanische Granitsäule und zweites (eines wurde im Park von mir wiederentdeckt) Granitkapitell wie im Schlie 1896 beschrieben

- weitere Formsteine und schmiedeeiserne Arbeiten von den Wänden, aus Kloster- und

Schlosszeiten … u.v.a.m.

Mögen weitere wichtige Belege für die große Geschichte unserer kleinen Heimatstadt zu den

Darguner Schwestern und Brüdern heimkehren!

 

Literatur beim Verfasser Wolfgang Streblow

Fotos: Streblow ( „Bruder Wolfgang“ )

 

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